Straubinger - Christkind 2011
8 Titel | STRAUBINGER und schlimm. „Ich hasse es“, sagt der Willi, „wenn du nachts vor Schwüle nicht schlafen kannst“, und wie wunderbar kalt die Antarktis ist, wie wunderbar still, wie gut man schlafen kann in dieser Stille und in einer Decke. Er hat schon an Auswandern gedacht. „Ernsthaft“, versichert er, im Internet hat er bereits nach Jobangeboten gesucht. Es gibt viel Seltsames in dieser Stadt, aber seltsamer als ein Freund, der das Internet nach Jobs in der Antarktis durchwühlt, ist keiner hier. Gut, vielleicht noch der Fritz. Man könne dort, erklärt er etwas ne- bulös, „auf Stationen“ arbeiten, sogar einen Radiosender gebe es. Doch wenn man fragt, für wen dieser Sender denn sende, für Pinguine viel- leicht, die ja die ein- zigen einigermaßen menschenähnlichen Wesen dort sind, schüttelt er tadelnd den Kopf: nein, natürlich nicht, kein Pinguine-Programm, eins für Men- schen in aller Welt. Nur leider Kurzwelle, wes- halb nur ein Rauschen zu hören sei. Es klingt bizarr, was der Willi erzählt: Sein Traumland ist die Antarktis. „Ich bin“, erklärt er, „eben ein Wintermensch.“ Dankbar würden wir Eis von unseren Autos kratzen Ach, wären wir alle doch Wintermenschen! Freudig würden wir fortan frühmorgens aus unseren Betten hüpfen, eilends zum Fenster stürzen, in der Hoffnung, dass draußen im dunklen Winter am Gehsteig vielleicht recht viel Schnee liegt, den man noch vor dem Frühstück zu hübschen Gebirgen auftürmen könnte. Dankbar würden wir Eis von unseren Autos kratzen, glücklich aus nicht geräumten Nebenstraßen in einen Glatteisstau schlittern und dazu fröhlich „I give it to someone special, special“ singen. Wir haben ja auch Radiosender, nur dass un- sere Sender kein antarktisches Rauschen bringen, sondern ständig „Last Christmas“. Radio AWN, sagt der AWN-Chef-vom-Dienst Marco Pammer, startet „normalerweise am Montag nach dem ersten Advent“ richtig in die Last-Christmas-Saison und damit in denWinter und im Antenne-Bayern-Hörerservice verrät uns die Dame, dass „schon ab September Hö- reranfragen“ eintreffen, und zwar von Leuten, die sich auf „Last Christmas“ freuen. Doch Marco Pammer sagt auf die Frage, ob man „Last Christmas“ vielleicht sogar hassen kann, nur ein Wort: „Ja.“ Das Gesicht ein einziges Lachen Aber dann, irgendwann, beginnt es zu schneien. Dick fallen die Flocken, die Augen des kleinen Mädchens beginnen zu glänzen. „Schnee!“ ruft es, „Schnee!“, das Gesicht ein einziges Lachen. Und die Freundin, die mit Handschuhen Radfahren muss, sagt jetzt, dass es heut‘ aber zapfig ist, aber jetzt sagt sie es strahlend. Kein großes Wunder, aber ein kleines. Winter, wie wunderbar, Antarktis überall, nur deutlich lauter, weil die staade Zeit ist, in der man kaufen und konsumieren muss und am Christkindlmarkt spielt abends der Christian Schambeck oder der Josef Haslinger. Lieder, von denen man gar nicht gewusst hat, dass sie so gut zu Weihnachten passen. Von sieben Brücken singen sie, „manchmal wünsch‘ ich mir mein Schaukelpferd zurück“, singt der Haslinger; und der Schambeck verrät am nächsten Abend, was er damit macht: „I give it tosomeonespecial, special.“Mansteht ganz nah und sagt nach zwei Glühwein, dass der Haslinger und der Schambeck doch die
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