Straubinger - Christkindl 2013
„Nimm hoit a andere Schraubn und drah‘s eam eine!“ Die meisten anwesenden Schrauben sind entweder zu lang, zu krumm oder bei an- deren Übungen gerade geklopft worden, kurz unbrauchbar. Ein Mauerhaken mit geschraubter Windung bringt Hilfe in letzter Not. Er steht weit nach außen. Der Mann deckt ihn mit Sil- berpapier zu. Drinnen im Wohnzimmer schaut der Baum recht mickrig aus. Seiner unteren, weit ausladenden Pracht beschnitten, steht er etwas sehr schief im alten Ständer. „Aber de Äst passen oben doch gar...“ „Freilich, de stutzt a bisserl zu und do“, sie zeigt mit spitzen Fingern auf die Stellen, „bohrst dann eini, vo- stehst?“ Er versteht oder auch nicht. „An Bick darfst net vogeßn und a Silk aa net. Schaug nur auße, an da Angel vom Opa seiner Fischergart, do is no a Stickl dro.“ Es klappt fast nie Bis die drei oder vier Äste jedes Mal am rich- tigen Ort, verankert, angeklebt, befestigt, mit Silk am Stamm und an der gegenüberlie- genden Wand angehängt waren! Das dauerte. Einmal hing der Baum nur an einer Schraube, sehr schief. Beim Nachdrehen sind gleich zwei Mistviecher abgebrochen. Dann stand der Ständer nur noch als Attrappe recht verloren unterm Baum, funktionslos. In deutschen Wohnzimmern versammeln sich besonders zur Weihnachtszeit zahlreiche Ver- wandte. Jeder Baum wird bewundert, ist irr- sinnig schön, obwohl die meisten eigentlich recht greislich sind. Christbaum-Aufstell-Erleb- nisse dieser oder ähnlicher Art hat wohl jeder, der sich mit diesem Metier schon einmal be- schäftigen musste, hinter sich. Es klappte fast nie mit dem Christbaumständer. Und neulich sagt die Frau zu ihm: „Geh schaug amoi in a Gschäft eine, wo‘s Christbaumständer gibt; da muaß‘s jetzat oan gebn, wo jeda Baum eini- passt. Do brauchst gor koa Techniker net sei“. Im Geschäft erklärt der Inhaber dem christ- baumaufstellgeplagten Mann: „Die Mechanik ist ganz einfach. In Polen angefertigt.“ Der brave Mann lobt unentwegt die Vorzüge der neuen Ständertechnik. Er wisse ja auch um die Be- schwerlichkeiten des Baumaufstellens vergan- gener Jahre. Die alten Ständer und so, wobei er zu kichern begann, recht rücksichtsvoll, wie dem Mann vorkam. „Ja, ja“, nickte der und grinste dümmlich. „Nur aufpassn müssens‘, wenn‘s den Baum wieder rausziehen aus der Halterung, de Feder is ganz gewaltig und hat unbandige Kraft. Wann de z‘ruckschnalzt!“ Er sprach den Satz nur halb, aber die Drohung war unverkennbar. „Zack“, krachte es laut. Er- schrocken blickten einige Käufer und die Kassie- rerin auf die beiden Männer und das grüne Un- geheuer, so groß wie ein mittleres Wagenrad, den neuen, fast vollautomatischen Christbaum- ständer. „Sehns‘es! Nur auf den Hebel drücken. Ein paar Mal muss man‘s halt versuchen.“ „Bei meinen Fähigkeiten kein Problem“, sagt sich der Mann und spricht sich spöttisch Mut zu. Laut sagt er: „Werd scho wern, ma is ja schließle net af da Brotsuppen dahergschwumma.“ Vollautomatischer Christbaumständer Insgeheim stinkt ihm das Gehabe des Ge- schäftsinhabers, der ihm weismachen wollte, wie so ein Ständer funktioniert, wo er doch ... Weiter wollte er sich lieber nicht betrügen. Aber stinken tut‘s ihm trotzdem, weil man ihm nicht einmal zutraut, mit einem vollautomatischen Christbaumständer umgehen zu können. Ohne Umschweife klappt es. Der Baum steht kerzengerade im neuen Ständer. Und hält. Die Federn sind alle stramm angezogen. Der Hebel ist oben. Ans Abbauen und Herausnehmen des Baumes denkt der Mann noch nicht. Leise be- schleichen ihn aber Zweifel, ob er auch richtig den Zapfen findet, der den Hebel entspannt. Hoffentlich bring‘ ich dann nicht meine Finger zwischen die Drähte. Und er hört schon insge- heim, wie es „zack“ macht. 26 Leben | STRAUBINGER
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