Straubinger - Frühjahr 2012

STRAUBINGER | Titel 9 Und wenn – was ja sehr leicht passieren kann – auf der Räuberleiter einmal eine „Aua!“ schreit, „Mönsch, ich hab’ mich verhakt!“, wis- pern die anderen dann, mit schreckgeweiteten Blättern und vor Aufregung heiser, „Psst! Du weckst ja den Mensch auf!“? „Jetzt aber schnell! Alle Mann los!“ Aber vielleicht warten sie auch einfach nur ab, bis Mensch Meier einmal vergisst, das Gar- tentor zuzumachen und flüstern dann: „Jetzt aber schnell! Alle Mann los!“ Egal, wie sie’s machen: Sie machen es toll. Noch nie hat ein Mensch eine Goldrute auf frischer Flucht er- tappt. Darum weiß auch kein Mensch, warum sie überhaupt fliehen. Nicht einmal die Wirtin im Stammcafé und die weiß viel über Pflanzen. Mit ihr kann man solche Fragen sehr gut be- sprechen, sie ist eine Freundin besonders der bunten Geranien und im Sommer hat sie vor dem Lokal einen schönen Schanigarten, aber hier ist sie ratlos. „Es zeigt jedenfalls“, sagt unsereWirtin, „dass Pflanzen leben. Und dass sie Gefühle haben.“ Ja, offenbar haben sie das. Genau wie wir, wir Balkonsitzer und Im-Scha- nigarten-herum-Hocker. Der Zellularbiologe Frantisek Baluska von der Universität Bonn geht sogar noch einen Schritt weiter: Pflanzen, so teilte er dem „PM- Magazin“ mit, könnten „riechen, schmecken, sehen, hören und sprechen“. Und er berichtete ferner, dass Pflanzen vermutlich sogar mehr Sinne hätten als Menschen. Und dass au- ßerdem – und das ist nun wirklich erstaunlich – die Wurzeln der Pflanzen, „was Kommuni- kation angeht, problemlos mit dem Internet mithalten“ könnten. Wer solcheWurzeln hat, muss auch Gefühle haben: Heimweh vielleicht? Es wäre eine Erklärung: Die Goldrute stammt ja aus Nordamerika, das Indische Springkraut ist am Himalaya heimisch und wo der Kaukasische Bärenklau ursprünglich Bären klaute, liegt auf der Hand. Alle wurden vor 200 Jahren in deutsche Gärten verschleppt, wo sie als prächtige Zierpflanzen Gartenbesitzern zu Willen sein mussten. „Viel- leicht“, vermutet auch unsere Wirtin, „will man da einfach irgendwann heim?“ Könnte ja sein. Irgendwann will ja auch der treueste Stamm- gast heim. Das Springkraut springt nicht zurück in den Himalaya Nur: Das Indische Springkraut springt nicht zurück in den Himalaya. Es springt an den Allachbach. Oder sonst irgendwo hin, wo es nicht soll. Und die Goldrute büchst auch nicht nach Nordamerika aus, sondern nur an die nächste Böschung. Das ist nicht gut. „Die Goldrute“, hat uns Jörg Bär erklärt, „ist eine wunderbare Präriepflanze. Aber wo es ihr zu- sagt, verdrängt sie die heimische Flora“, und zusagen tut es ihr fast überall. Beim Spring- kraut und Kaukasischem Bärenklau ist das nicht anders und der seltene Trichterfarn, den es fast nur noch im Perlbachtal gibt, ist deshalb bereits fast ausgestorben. Es ist besorgniser- regend. Und bei den Tieren ist es genauso. Von Italien her zieht das Grauhörnchen nordwärts, das Eichhörnchen Nordamerikas. Ein Eichhörn- chenliebhaber setzte ein Pär- chen einst im Park seiner Villa aus, eswar vor  8 Titel | STRAUBINGER

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