Straubinger - Frühjahr 2013

8 Titel | STRAUBINGER dieser Stelle musst du höher singen und an jener tiefer, denn wenn du das nicht machst, schreckst du nicht nur Raubtiere ab, sondern auch sonst alle anderen.“ Man hat mir das Abc beigebracht und das Einmaleins, man brachte mir lateinische Sinn- sprüche bei und den Anfang von Homers Odyssee und das alles mit einer Akribie, dass ich noch heute „Andra moi ennepe, Musa, polütropon, hos malla polla planchtä, epei Trojäs, hieron ptoli-ethron epersen“ auswendig aufsagen kann, sogar noch nach drei Maß Bier im Volksfest, falls nötig. Doch Im Märzen der Bauer beherrsche ich nur bis zu der Stelle, in der es heißt die Rösslein einspannt. Wie geht es dann weiter? Sehen Sie: Sie wissen es auch nicht. Fragen Sie zehn Leute, ob sie ein Frühlingslied kennen, und Sie hören zehn mal: „Freilich. Im Märzen der Bauer.“ Und wenn Sie dann fragen, „Wie geht das?“, hören Sie zehn Mal: „Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt“. Dann hören Sie kurz ein verlegenes „äh“, und dann: „la lala la lala la lala la la“. Ist es nicht so? Drei von den zehn werden ferner behaupten, dass ihnen Es tönen die Lieder, der Frühling kehrt wieder bekannt sei und außerdem Alles neu macht der Mai. Aber singen kann‘s keiner. Nur Kuckuck, Kuckuck, ruft‘s aus demWald ist noch manchem bekannt. Aber das war‘s dann. Jede Krähe kräht besser als wir Ist das nicht traurig? Jede Amsel ist uns überlegen. Jede Krähe kräht besser als wir. Das Liedrepertoire jeder Drossel ist größer. Dabei wäre Singen so schön und grad im Frühling. Es schüttet Glückshormone aus, Serotonin und Ephedrin. „Jeder, der singt“, sagt der Kreismusikpfleger Franz Schötz, „geht glücklich weg, weil Singen toll ist.“ Und dass nicht mehr ge- sungen wird, sind die Nachwehen der Nazi- Zeit, sagt Franz Schötz, weil die Nazis das Singen missbraucht haben. In der Lehrerausbildung gibt es Tausend Mög- lichkeiten, sich um Musikausbildung zu drü- cken, an Grundschulen und Gymnasiums-Un- terstufen wird deshalb nur noch ein gesangs- technisches Mindestprogramm abgespult. Ist es da ein Wunder, wenn kein Mensch heute mehr weiß, wie es nach Rösslein einspannt weitergeht? So geht das nicht weiter. Kein Wunder, dass uns der demografische Wandel bedroht. Es war Charles Darwin (1809–1882), dem auffiel, dass Vögel mit Singen Weibchen anlo- cken und dass die besten Sänger die besten Weibchen erwischen. Daraus schloss Darwin, dass auch der Mensch wegen der Weibchen zu singen begann. Zwar hielt der Psychologe Carl Stumpf (1848–1936) entgegen, dass die ältesten bekannten Gesänge der Ur- und Na- turvölker eher kriegerische und religiöse Ge- sänge seien und Darwin hier einen Vogel habe. Doch Tatsache ist: Solomon Burke, der umju- belte Star bei Jazz an der Donau 2008, hatte 21 Kinder und zwar von sehr vielen Frauen. Und Burke war ein Sänger. Burke sang Lieder wie Doodle Dee Doo. Klingt das wie Kriegsgeschrei? Nein, Doodle Dee Doo klingt nach Frühling, Sing- vogel und Weibchen anlocken, und nach 21 Kindern. Oder Bob Marley, Sänger solch lieblicher Lieder wie One Love, Is This Love und Three Little Birds: Offiziell hat er elf leibliche Kinder anerkannt, von acht verschiedenen Frauen, die tatsächliche Zahl seiner Kinder wird jedoch auf 22 bis 46 geschätzt: Ver- gessen wir Stumpf. Darwin hat recht.

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